Latenz


In seiner Arbeit geht Tom Weichelt einem besonderen logistischen Prozess der Fotografie nach: Fast jedes fotografische Bild legt nach dem Moment der Aufnahme einen Weg zurück, bevor es im Labor entwickelt wird. Was aber ist der Status des latenten, noch nicht entwickelten Bildes, welche Reise vollzieht es, und welche Ereignisse könnten während dieser Wegstrecke seine Farbigkeit und seinen Ausdruck beeinflussen?

Um diese Fragen zu verdichten, nimmt Weichelt uns selbst auf Reise an den Grenzfluss Eipel mit, der die ehemalige CSSR von Ungarn trennt. Im Jahr 1989 überquerten Menschen diese Grenze, um über das damals freie Ungarn in den Westen zu fliehen. Zugleich legt der Künstler fest, dass die sieben im Jahr 2022 dort aufgenommenen Fotografien nur nach einem festgelegten Intervall von 11 Jahren entwickelt werden dürfen.

Damit eröffnet die Arbeit vielfältige Fragen: Was ist das Verhältnis von Geographie, soziopolitischer Realität und der Latenz des Bildes? Wie verkompliziert das Moment der Latenz die bezeugende Funktion analoger Fotografie? Und welche persönliche Bedeutung kommt der Latenz zu, wenn Leben in Bildern und Bilder in der Dunkelheit aufgehoben werden müssen – einer Dunkelheit, die auch dazu dient, nachts Grenzflüsse zu durchschwimmen? Die Lichtung, die auf dem einzigen bereits entwickelten Bild zu sehen ist, beantwortet diese Fragen nicht.


Moritz Frischkorn